Die egalitäre Kraft der Stadtnatur
Die Welt wird besser! Oder wenigstens darf sie stückchenweise nicht schlechter werden. Denn auf das „Erfordernis der Nichtverschlechterung“ hat sich das EU-Parlament mit dem Renaturierungsgesetz geeinigt. Mitgliedstaaten verpflichten sich, die Zerstörung der innereuropäischen Meeres- und Landflächen aufzuhalten und stattdessen hart an ihrer Wiederherstellung zu arbeiten. Flussläufe sollen befreit, Vogel- und Insektenbestände geschützt und Torfmoore wieder durchnässt werden. Umweltverbände jubeln.
Weniger Aufmerksamkeit bekam der Umstand, dass sogar Städte ihre eigenen Schutzvorgaben bekommen. Bis 2030 dürfen dort netto keine Grünflächen mehr abgebaut werden – wird also an einer Stelle ein Grasstreifen bebaut, muss an anderer Stelle ein Parkplatz zur Wiese werden.
Nach 2030 soll der Grünanteil dann nicht nur gleich bleiben, sondern sogar wachsen. Wenn die EU-Gremien die Details festzurren und die Verordnung damit in Kraft tritt, ist sie ein Durchbruch. Auch auf sozialer Ebene. Die Entscheidung, wie viel Grün es in einer Stadt gibt, ist nämlich keine ästhetische Frage für die Unser-Dorf-soll-schöner-werden-Fraktion. Stadtnatur hat eine egalitäre Kraft. Sie ist ein machtvoller Nachteilsausgleich, von der besonders arme Bewohner*innen profitieren.
Grün macht gesünder
Dass Städte auf Dauer mehr statt weniger Natur brauchen, ist bislang kein Konsens in der deutschen Verkehrs- und Städteplanung. Dabei bestätigen ganze Studienberge die Vorteile: Mehr mentale Gesundheit, dafür weniger Asthma, Frühgeburten und Herzerkrankungen. Fast alles, was uns umbringt, wird durch städtische Grünanlagen weniger.
Trotzdem sind die verbliebenen Grünflächen in deutschen Städten hart umkämpft: Von Osnabrücks grünen Fingern bis zu Berlins einstigem Flughafen Tempelhof – immer wieder kursieren Bebauungspläne für Parks. In München wurde der Erhalt der letzten Grünflächen gerade mit einem Bürgerbegehren erstritten. In der Stadt sind allein die Verkehrsflächen seit den 1990ern um mehr als 20 Prozent gewachsen.
Wer versucht an diesen Zuständen etwas zu ändern, muss sich schnell erklären lassen, dass Berlin nicht Bullerbü sei, wie es der neue Regierende Bügermeister Berlins gleich in seiner ersten Regierungserklärung klarmachte.
Als wäre schon der Wunsch nach Blumen und Bienen völlig fehl am Platz, wenn man sich nun mal entschlossen hat, zwischen Asphalt und Autos zu leben, wofür es ja auch durchaus andere Gründe gibt – Infrastruktur, Arbeitsplatz, Kultur und andere kognitive Anregung. Überhaupt gilt die Forderung nach Stadtnatur ziemlich oft als Hobbyprojekt reicher Bürgerkinder: zugezogene Schwaben, die die Großstadt nicht verstünden! Idylle suchende Akademiker-Eltern, die der hart arbeitenden Krankenschwester mit ihrem Kräuterbeet den Parkplatz verwehren!
Erholungsräume für Marginalisierte
Neueste Forschung legt jetzt ganz andere Schlüsse nahe. Eine aktuelle Studienübersicht zeigt: Von urbanen Grünflächen profitieren vor allem Menschen mit geringem Einkommen, zusammen mit anderen, die im Stadtleben benachteiligt sind. Die Analyse kombiniert die Ergebnisse von 90 Studien und stützt sich dabei auf sehr robuste Forschungsergebnisse.
Eine niederländische Studie etwa, die 200.000 Fragebögen mit Landschaftskarten abgleicht und die größten grünen Gesundheitseffekte bei Kindern, Älteren und Geringverdienern findet. Laut den Daten des englischen Zensus profitieren vom Grün sogar ausschließlich die urbanen Nachbarschaften mit niedrigem Einkommen.
Der Blick auf die gesammelten britischen Sterberegister verrät, wie stark Grünflächen die Gesundheitsunterschiede zwischen gesellschaftlichen Schichten angleichen, geschätzt retten sie jährlich 1.328 Leben. Auch im internationalen Vergleich zeigt die Studienübersicht: Je ärmer das Land, desto wichtiger die Bedeutung naturbelassener Flächen.
Das Muster macht Sinn, wenn man sich die vermuteten Ursachen für die Grüneffekte anguckt. Sie gelten als Puffer für Lärm, Luftverschmutzung, Hitze und Vitamin-D-Mangel – alles Gefahren, die in benachteiligten Stadtvierteln und Bevölkerungsgruppen besonders präsent sind, und gerade bei denjenigen, die am Wochenende nicht einfach rausfahren können.
Denn Zeit im Grünen senkt Blutdruck, Entzündungsmarker und Stresshormonlevel und dämpft so einen Teil der schädlichen Auswirkungen von chronischem Stress – einer der aggressivste Wege, auf dem Armut krank macht. Das Stadtleben mit seinem permanenten Input setzt diesem Stress noch weiteren Druck auf: nonstop Begegnungen und Geräusche einordnen, sich umgucken, damit einen die anderen Verkehrsteilnehmern nicht überfahren, und vieles mehr.
Im Endeffekt braucht es natürliche Erholungsräume also nicht obwohl, sondern weil Menschen dicht gedrängt auf Asphalt leben. Umso besser, wenn die EU mit der Vorstellung der Stadt als selbstgewähltes Grau endlich aufräumt. Stadtnatur ist kein Privilegienprojekt, sondern ein Ungerechtigkeitsausgleich.
Equigenesis nennt sich die Art von Städteplanung, die versucht Umweltfaktoren zu identifizieren, die Ungleichheit – mitunter wortwörtlich – zementieren, sie umzustrukturieren und auf diesem Weg die gesundheitlichen Spielbedingungen anzugleichen. Grünflächen sind eines ihrer wirksamsten Mittel.
Bleibt nur die Frage, was die unterschiedlichen Gesundheitseffekte wirklich begründet. Könnte es sein, dass es an anderen Faktoren liegt, die mit grünen Nachbarschaften zusammenfallen? Dass sie einfach allgemein ordentlicher sind? Oder lebendiger?
Um das herauszufinden, haben sich Forschende europaweit eine ganze Menge an Einflussfaktoren angeschaut – Müllabfuhr, ÖPNV, Post- und Bankservice, Kinos und Kultur. Aber kein Faktor konnte den Stressunterschied zwischen Arm und Reich so stark angleichen wie urbanes Grün, nämlich um 40 Prozent. Dabei ging es nicht um passives Grün wie Blumenkästen und Fassadenbegrünungen, sondern um Fläche, die auch wirklich genutzt wird, Parks vor allem. Ärmere Stadtbewohner*innen profitieren im Gegensatz zu Reicheren gesundheitlich selbst noch von Parks, die in zwei Kilometer Entfernung liegen. Weil sie hingehen.
Daten von 400.000 Niederländer*innen zeigen, dass Parkanlagen als Treffpunkte soziale Unterstützung verstärken, also einen Schutz vor Einsamkeit bieten. Auch hier fand sich der stärkste Effekt bei Geringverdienenden, Älteren und Kindern. In den USA sind es vor allem Schwarze Communitys, die Parks zum sozialen Austausch nutzen.
Es geht um Bewegungsfreiräume
Damit das funktioniert, muss Geld investiert werden, um Parks sauber, grün und spannend zu halten. Denn auch das findet sich zwischen den positiven Ergebnissen: Grünflächen, die in ärmeren Vierteln weitaus schlechter gepflegt und im Gegenzug weniger genutzt werden. Oder solche, die von vorneherein nur in wohlhabenden Gegenden geplant werden. Die Vorgabe, dass es keinen Nettoverlust von Grünflächen geben darf, kann nicht heißen, dass in Villenvierteln Beton aufgebrochen wird, während man diejenigen, die Natur am dringendsten brauchen, zubetoniert.
Aus der Forschung können Stadtplaner*innen auch ableiten, wie Stadtnatur gestaltet werden muss, um ihr egalitäres Potenzial zu entfalten. Es reicht nicht, Straßenzüge zu begrünen für Kühlung und Luftqualität. Es geht um Bewegungsfreiräume.
Parks, die niedrigschwellig und umsonst von Leuten genutzt werden können, die andere Kulturangebote offenbar schwerer erreichen. Dafür braucht es Wege, die auch mit Rollator funktionieren, Spielräume für Kinder. Und die Sitzgelegenheiten für Zusammenkünfte sollten idealerweise solche sein, für die man keinen Cappuccino konsumieren muss.
Franca Parianen, taz, 22.07.2023
https://taz.de/Die-egalitaere-Kraft-der-Stadtnatur/!5946768/
Aktuelles
Presseeinladung vors AGH, Mi 11.30 Uhr - ThF-G vorm Aus?
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Pressemitteilung: Menschen ins Gebäude - Bäume aufs Feld!
100% Tempelhofer Feld und das Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung haben am 6.1.2023 ein klares Zeichen zum Jahresauftakt gesetzt:
Berliner Grünflächeninitiativen kamen auf das Feld um deutlich zu machen, im Jahr 2024 werden etliche Grünflächen unter der SPD-CDU-Regierung vor ähnlichen Problemen stehen. Die Aktion von 100% Tempelhofer Feld setzt mit einer Installation von Weihnachtsbäumen ins Bild, was jetzt anstehen muss: "Menschen ins Gebäude - Bäume auf das Feld!" Das Tempelhofer Feld muss endlich im Sinne des Volksentscheids weiterentwickelt werden, also: Bäume aufs Feld! Und Menschen ins Flughafengebäude!
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PM Mit der Brechstange aufs Feld!
Heute wird im Abgeordnetenhaus über den Haushalt debattiert. Eine der wichtigsten Debatten, denn sie bestimmt, was in den nächsten 2 Jahren möglich sein wird oder nicht zu Stande kommt. Für diese Debatte braucht es Zeit und deshalb kommen normalerweise andere wichtige Themen gar nicht erst auf die Tagesordnung. Es sei denn, man möchte vielleicht gar nicht, dass über sie diskutiert wird. So wird es morgen sein: Die CDU/SPD-Fraktion hat die hoch umstrittenen Themen wie ThFG-Änderung, ASOG und Bauordnung auf diesen Tag gelegt. Die Sitzung ist bis 1:00 nachts angesetzt, Beginn 09:00.
PM: Senatsplan für Änderung des Thf-G wird integrative Projekte zerstören!
Als sich die CDU für ihre Klausurtagung auf den Weg nach Warschau machte, blieb wohl manches auf der Strecke, wie z.B. die detaillierten Kenntnisse unserer Verfassung. Wie sonst lässt sich erklären, dass sie schon wieder den Vorschlag einer Volksabstimmung stolz verkündet? Volksabstimmungen von oben sind besonders in autoritären Staaten beliebt, vielleicht auch in Großbritannien, aber nicht in Berlin. Vor so viel Willkür schützt uns nämlich genau diese unsere Verfassung.
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PM: Trojanisches Pferd im Galopp aufs Tempelhofer Feld
Jetzt ist es also soweit, das Trojanische Pferd steht: Der Senat will Fakten schaffen und die Vorlage zur Veränderung des Tempelhofer Gesetzes heute beschließen.Noch vor wenigen Wochen versprach dieser Senat, eine Änderung am ThFG nur nach Beteiligung der Bevölkerung überhaupt in Erwägung zu ziehen. Hierfür war sogar eine Änderung der Verfassung im Gespräch, falls es denn um eine Volksbefragung gehen sollte. Das ist offensichtlich Schnee von gestern.
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PM zur geplanten Änderung des ThFG
Warnung vor dem Trojanischen Pferd!
Dem Mythos vom Trojanischen Pferd zu Folge, erschlichen sich die Griechen nach 10-jähriger Belagerung listig Einlass in die Stadt Troja. Dafür versteckten sie sich in einem harmlos anmutenden hölzernen Pferd. Kassandra warnte eindringlich, das Pferd bringe den Untergang Trojas, aber die Stadtbevölkerung hörte nicht. Sie ließen das Pferd herein. In der Nacht krochen die Soldaten aus dem Bauch des Pferdes und öffneten die Stadtore für das heranrückende griechische Heer, das darauhin Troja zerstörte.
Nicht anders verhält es sich jetzt mit dem Tempelhofer Feld: seit 9 Jahren lauern SPD und CDU auf ihre Chance, sich das Feld mit einer List zurück zu erobern. Sie kommen mit einem harmlos anmutenden Gesetzentwurf um die Ecke, reden über Flüchtlingsunterkünfte und soziale Verantwortung, wollen dafür das Tempelhofer Feld Gesetz ändern. Aber stimmt das auch?
PM Einladung 9 Jahre Volksentscheid! Sonntag 28. Mai
100% Tempelhofer Feld lädt zur Jubiläumsfeier ein. Heute jährt sich der Tag des erfolgreichen Volksentscheids für den Erhalt des Tempelhofer Feldes. Angesichts der aktuellen Diskussion um das Feld ist der Volksentscheid jetzt wieder besonders wichtig.
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